Im Coaching-Business sind auch Fachhochschulen wie die ZHAW und FHNW mit von der Partie.Bild: keystone/imago/watson
Profit mit Erfüllung
Steckst du im Leben fest? Dann geh zu einem Life-Coach. Die Nachfrage nach Coachings ist gross – versprechen zumindest die zahlreichen Ausbildungsstätten. Aber stimmt das wirklich? watson nimmt das Coaching-Business in der Serie «Profit mit Erfüllung» unter die Lupe. Teil 1: der undurchsichtige Markt.
13.10.2024, 04:4516.10.2024, 13:55
Am Anfang steht immer ein Versprechen: «Entfalte dich!», «Lerne, dein Leben selbst in die Hand zu nehmen», «Raus aus dem Hamsterrad». Mit solchen Phrasen werben sie im Internet für ihre Dienstleistungen. Sie, die Happiness-Coaches, Lebensentwicklungs-Coaches, Frauengesundheit-Coaches, Motivations-Coaches, Laufbahn-Coaches, Männlichkeits-Coaches, Selbstfürsorge-Coaches, Intuitions-Coaches. Die Liste liesse sich unendlich erweitern.
Coach, das ist kein geschützter Begriff. Jede und jeder kann sich in der Schweiz «Coach» nennen. Die meisten Coaches verstehen unter ihren Dienstleistungen eine Art von Beratungsangebot. Eine Mischung aus Psychotherapie und Mentoring. Nicht selten kombiniert mit spirituellen Elementen.
Auszug aus einer Schweizer Life-Coach-Website:
Bild: watson screenshot
Über 300 Coaches sind im «Coaching-Verzeichnis Schweiz» registriert. Effektiv gibt es in der Schweiz aber wohl deutlich mehr. Allein in der Stadt Zürich lassen sich auf Google Maps beispielsweise über 60 Dienstleister unter dem Begriff «Life-Coach» finden. Besonders auffällig dabei: So gut wie alle von ihnen haben eine Bewertung von fünf Sternen.
Woran das liegen könnte, darauf werden wir im dritten Teil der Serie genauer eingehen. Aber zuerst wollen wir diese Fragen beantworten: Wer mischt alles im Coaching-Business mit? Ist der Markt wirklich so lukrativ? Und müssen wir uns deshalb in Zeiten, in denen Psychotherapieplätze rar sind und die mentale Gesundheit in der Bevölkerung stagniert, Sorgen machen?
«Profit mit Erfüllung», Teil 1
Wer im Leben nicht mehr weiterweiss, geht heute nicht unbedingt in Therapie, sondern zu einem Coach. Denn er kann «Blockaden lösen», «Stress heilen», die «Intuition stärken». So versprechen es die Coaches zumindest auf ihren Websites. Klingt verheissungsvoll. Und auch gefährlich, wenn man in die falschen Hände gerät.
Darum geht watson dem Coaching-Business in der Schweiz in der dreiteiligen Serie «Profit mit Erfüllung» auf den Grund. Drei Sonntage in Folge fragen wir uns: Wer mischt alles im Coaching-Markt mit? (Teil 1) Mit welchen fragwürdigen Methoden verdient man in der Branche sein Geld? (Teil 2) Und warum scheinen Coachings trotzdem für viele Menschen eine Hilfe zu sein? (Teil 3)
Verlässliche Zahlen zum Coaching-Markt fehlen
Wenn Anbieter von Coaching-Ausbildungen eines auf ihren Websites klarstellen, dann ist es das: Das Coaching-Business in der Schweiz boomt. «Der Zeitpunkt, eine Karriere als Coach zu starten, könnte nicht besser sein», schreiben sie.
Um dieses Versprechen zu untermauern, gab die International Coaching Federation (ICF) 2019 gar eine eigene Studie beim Wirtschaftsberatungsunternehmen PwC in Auftrag. Die PwC kam dabei zum Schluss: Die weltweite Coaching-Branche dürfte 2022 einen Marktwert von 20 Milliarden US-Dollar erreichen.
Ob diese Prognose richtig war, lässt sich nicht überprüfen. Effektive Daten zur Branche gibt es nämlich nicht. Weder in der Schweiz noch weltweit. Ein wichtiges Detail muss jedoch festgehalten werden: Die Vorhersage der PwC basierte zu grossen Teilen auf Gesprächen und Einschätzungen von Coaches, die Mitglied des ICF sind. Also teilweise nicht nur eine Coaching-Ausbildung beim ICF gemacht haben, sondern auch selbst Coaching-Ausbildungen anbieten.
Eine ganz andere Einschätzung des Coaching-Markts nimmt Mathias Binswanger vor. Er ist Ökonom und Professor für Volkswirtschaftslehre an der Hochschule für Wirtschaft der Fachhochschule Nordwestschweiz (FHNW).
Phobien heilen durch eine ganz spezielle Klopftechnik, das verspricht eine Zürcherin auf ihrer Website. Das umkreiste R hinter der Klopftechnik «PEP» weist darauf hin, dass sie für diese Methode eine teure Coaching-Ausbildung absolviert hat.Bild: watson screenshot
In den Medien wird Binswanger gerne als «Glücksforscher» vorgestellt. Dies, weil er in seiner Forschung den Zusammenhang zwischen Zufriedenheit, also Glück, und Einkommen untersucht. Dank seines Titels wird er immer wieder als Redner in Podcasts und zu Veranstaltungen eingeladen. Unter anderem von Personen, die sich selbst als «Coach» vermarkten. Binswangers Erkenntnis daraus:
«Viele Coaches haben gar keine Kunden.»
Mathias Binswanger, Professor für Volkswirtschaftslehre an der FHNW
Binswanger glaubt deshalb: Das wahre Geschäft lässt sich nicht mit Coachings machen, sondern beim Ausbilden von Coaches. Beim Verkaufen von Kursen und anschliessenden Diplomen, Zertifikaten, Urkunden. Weshalb? «Viele Menschen sind auf der Suche nach einer erfüllenden, sinnstiftenden Aufgabe», sagt Binswanger.
Mathias Binswanger wird gerne als «Glücksforscher» vorgestellt.Bild: Chris Iseli
In einer automatisierten Arbeitswelt würden viele keinen gesellschaftlichen Nutzen, keinen Mehrwert mehr in ihrer geleisteten Arbeit erkennen. Anstatt sich selbst coachen zu lassen, würden die Leute gleich selbst eine Coaching-Ausbildung absolvieren. Nicht unbedingt mit dem Ziel, am Ende als Coach tätig zu sein, sondern um «in sich selbst zu investieren». Binswanger sagt:
«In einem reichen Land wie der Schweiz haben die Leute – blöd gesagt – das Geld für solche Hobbys.»
Mathias Binswanger, Professor für Volkswirtschaftslehre an der FHNW
Gefährliche Nähe zur Psychotherapie
Mathias Binswanger könnte als «Glücksforscher» wohl selbst lukrativ Coachings oder Coaching-Ausbildungen verkaufen. Warum tut er es nicht? Binswanger muss bei dieser Frage laut lachen. Dann sagt er: «Ich habe weder die nötigen Fähigkeiten noch das nötige Fachwissen und die nötige Ausbildung, um jemandem zu seinem persönlichen Glück zu verhelfen.» Dafür seien Fachpersonen wie Psychotherapeutinnen da, findet Binswanger.
Genau hier liegt die grundlegende Kritik an Life-Coaches. Der deutsche Soziologe Stefan Kühl hat diese bereits 2005 in seinem Buch Das Scharlatanerieproblem geäussert. Gemäss Kühl ist die Grenze zwischen Coachings und Psychotherapie in der Praxis extrem verschwommen.
Dieser Schweizer Life-Coach bietet Notfall-Coachings per Telefon an, ähnlich wie die «Dargebotene Hand». Allerdings verlangt der Coach Geld dafür.Bild: watson screenshot
Sowohl in der Psychotherapie als auch im Coaching ist die eine Person die Kundin und die andere Person die Gesprächspartnerin. Es besteht sowohl ein Vertrauens- als auch ein Abhängigkeitsverhältnis. Diese Ausgangslage, das sogenannte Therapie-Setting, birgt gemäss Kühl Gefahren.
So könnten «Überweisungsfälle» nicht erkannt werden. Beispielsweise wenn die Kundin oder Patientin eine schwerwiegende psychische Krankheit aufweist, die die Fähigkeiten des Gegenübers übersteigt. Es bestehe aber auch die Gefahr, «dass die Beratungssituation als Einfallstor von Sekten oder deren Vorfeldorganisationen genutzt wird», so Kühl.
Dieser Coach verspricht auf seiner Website, Personen mit einer posttraumatischen Belastungsstörung behandeln zu können.Bild: watson screenshot
Diese Gefahren bestehen grundsätzlich im Therapie-Setting. Also sowohl in der Psychotherapie als auch im Coaching. Das zeigte sich jüngst Anfang 2023, als sich Schweizer Psychiatrien im Strudel von satanistischen Verschwörungstheorien wiederfanden. Kühl hält allerdings fest:
«Das Scharlatanerieproblem stellt sich beim Coaching aus verschiedenen Gründen dramatischer dar.»
Stefan Kühl, Soziologe und Autor des Buchs «Das Scharlatanerieproblem»
Das Zauberwort lautet: Professionalisierung.
Diese Coachin verspricht, bei ernstzunehmenden Krankheiten Abhilfe zu schaffen. So etwa bei Angststörungen, Suchtverhalten, Traumata oder Burnout. Dank ihrer Intuition.Bild: watson screenshot
«Scharlatane sind immer die anderen»
Fünf Jahre Studium und anschliessend weitere vier bis sechs Jahre praktische und theoretische Weiterbildungen braucht es, damit man in der Schweiz als eidgenössisch anerkannte Psychotherapeutin oder anerkannter Psychotherapeut arbeiten darf. Psychiater absolvieren ein Medizinstudium. Das ist zumindest eine Schwelle, ein Mindestmass an Professionalisierung, das die Psychotherapie vorweisen kann. Ausserdem ist in der Psychotherapie klar definiert, was ein Therapeut darf und was nicht, so Kühl. Und: Psychologen und Psychiaterinnen unterliegen der gesetzlichen Schweigepflicht.
Anders beim Coaching. Coach kann sich nennen, wer will. Und man kann in seinen Coachings machen, was man will. Aura lesen? Hand auflegen? Mit den Toten kommunizieren? Bäume umarmen? Tanzrituale veranstalten? Und versprechen, damit selbst komplexe psychische Krankheiten behandeln zu können? Alles erlaubt.
Rechtlich ist ein Kunde nicht vor Missbrauch geschützt, wie er es in einer Psychotherapie wäre: Ein Coach unterliegt keiner gesetzlichen Schweigepflicht. Er kann unter Umständen persönliche Informationen seiner Kunden weitergeben. Im schlimmsten Fall missbrauchen.
Diese fehlende Professionalität ist der Branche bewusst. Kühl schreibt:
«(Fast) jeder redet von den in der Szene existierenden Scharlatanen, aber es gibt kaum Übereinstimmung, woran man diese erkennt. Die Scharlatane sind immer die anderen.»
Stefan Kühl, Soziologe und Autor des Buchs «Das Scharlatanerieproblem»
Auf den Websites der Life-Coaches ist darum ein Ausweis einer «professionellen, wissenschaftlich geprüften» Coaching-Ausbildung, die sie absolviert haben, oft nicht weit. Niemand möchte zu den Scharlatanen gehören. Und auch niemand, der sich als kostspieliges «Hobby» eine Coaching-Ausbildung leistet, will auf einen Scharlatan hereinfallen.
Darum überrascht es nicht, dass inzwischen auch Fachhochschulen die Coaching-Ausbildung als Business für sich entdeckt haben.
Diese Coachin bietet Spaziergänge an, um zu «neuer Resilienzpower» zu kommen. Kosten: 40 Franken.Bild: watson screenshot
Fachhochschulen sind auf Zug aufgesprungen
An der Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften (ZHAW) kann man eine Weiterbildung in «Coaching Advanced» absolvieren, die man am Ende mit einem international anerkannten «Certificate of Advanced Studies» (CAS) abschliesst. 18,5 Kurstage beinhaltet das CAS an der ZHAW. Kostenpunkt: 10’400 Franken.
Etwas günstiger kommt man bei der Fachhochschule Nordwestschweiz (FHNW) weg: Das «CAS Coaching in Organisation» beinhaltet 22 Kurstage und kostet «nur» 8’800 Franken. Wer allerdings einen «Master of Advanced Studies ZHAW in Coaching» absolvieren will, muss drei CAS-Module in Coaching absolvieren, plus ein Mastermodul. Gesamtkosten für 65 Kurstage: 39’400 Franken.
So präsentiert die ZHAW ihren MAS in Coaching auf ihrer Website.Bild: screenshot zhaw
Lässt sich mit Coachings das Uni-Budget aufbessern? Sind die Fachhochschulen deshalb auf den Coaching-Ausbildungszug aufgesprungen? «Mit Coaching kann man zwar Geld verdienen, aber sicher nicht das Hochschulbudget aufbessern. Die Studierenden werden von der öffentlichen Hand subventioniert, die Weiterbildungsangebote müssen selbsttragend sein.» Das sagt einer, der es wissen muss: Hansjörg Künzli. Er doziert an der ZHAW am Psychologischen Institut des Departements für Angewandte Psychologie zu Coaching.
Auch Künzli kann keine Zahlen nennen, wie gross der Coaching-Markt in der Schweiz tatsächlich ist. Er hat in der Vergangenheit allerdings Schätzungen vorgenommen. Dabei kam er zu demselben Ergebnis wie Glücksforscher Mathias Binswanger: Ein Grossteil des Umsatzes im Coaching-Business wird mit Ausbildungsangeboten erwirtschaftet. Künzli sagt:
«Coaching ist einerseits Beratungsangebot, andererseits ein Lifestyle-Produkt.»
Hansjörg Künzli, Dozent für Coaching an der ZHAW
In unserer Gesellschaft beschäftige man sich heute so intensiv mit sich selbst wie nie zuvor. Die Leute wollten sich selbst optimieren, sich weiterentwickeln. Gerade im Mittelland hätten sie das nötige Kleingeld übrig, in eine Coaching-Ausbildung zu investieren, selbst wenn sie nie vorhätten zu coachen.
Reine Geldmacherei will Künzli dem Coaching aber trotzdem nicht vorwerfen lassen. «Es ist eine Tatsache, dass die Anforderungen der Arbeitswelt an uns enorm gestiegen sind.» Ebenso seien die Anforderungen an Arbeitgeber und Vorgesetzte gestiegen. Die junge Generation wechsle so häufig den Job wie keine Generation vor ihnen. «Der Umgang mit multiplen Anforderungen kann einem schon mal zu viel werden. Darum suchen sich manche professionelle Unterstützung.»
Hansjörg Künzli, Dozent für Coaching an der ZHAWBild: zvg
Genau hier würden Coaching-Weiterbildungen wie jene an der ZHAW Abhilfe schaffen. Sie richteten sich explizit an Personen, die bereits in ihrer jetzigen Anstellung eine beratende oder Führungsfunktion hätten, also: Chefinnen und Chefs, Projektleitende, Personalentwicklerinnen, HR-Angestellte, Organisations- und Unternehmensberater.
Spiritualität gibt’s bei Privaten
Die Coaching-Ausbildungsangebote der Fachhochschulen sind also nicht für jede und jeden gemacht. Und Künzli fügt an:
«Nach einem CAS an der ZHAW ist man auch nicht befähigt, alles zu coachen, was einem beliebt.»
Hansjörg Künzli, Dozent für Coaching an der ZHAW
Auch wenn die Art der Gesprächsführung im Coaching Ähnlichkeiten mit jener der Psychotherapie aufwiesen, gebe es eine klare Grenze zwischen den beiden Angeboten. Diese Grenzen des Coachings würde die ZHAW in ihrer Coaching-Ausbildung klar vermitteln. Künzli sagt: «In einem Coaching werden gegenwärtige Probleme, beispielsweise Konflikte mit Mitarbeitenden bearbeitet, aber keine krankheitswertigen Störungen behandelt.»
Die Lerninhalte des CAS und MAS Coaching an den Fachhochschulen würden Dozierende aus der Psychologie, Wirtschafts- und der Sozialwissenschaft ausarbeiten. Die Kurse stützten sich auf wissenschaftliche Erkenntnisse.
Die Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften (ZHAW) in Winterthur ist auf den Coaching-Zug aufgesprungen.Bild: KEYSTONE
Spirituelle Bedürfnisse, etwa Antworten auf die Frage nach dem Sinn des Lebens, stillen die Angebote der Fachhochschulen somit aber nicht. Und wollen sie auch nicht stillen, betont Künzli. In diese Lücke springen private Anbieter von Coaching-Ausbildungen noch so gerne. Zu denselben hohen Preisen.
Einen dieser Anbieter, der besonders lukrativ Werbung für seine «professionelle», «wissenschaftlich validierte», «ISO-zertifizierte» Ausbildung mit «sehr hoher Kundenzufriedenheit» macht, haben wir deshalb undercover als Kursinteressentin besucht. Wie das herausgekommen ist, lest ihr nächsten Sonntag im zweiten Teil der watson-Serie «Profit mit Erfüllung».