In der ARD brilliert der Schweizer Christian Kohlund im «Zürich-Krimi»

Der Lauf der Dinge: Wetten, dass es Thomas Borchert (Christian Kohlund) gelingt, den Angreifer allein mit seiner Stimme zu zähmen?Bild: ARD / DEGETO

Christian Kohlund war ein romantischer Quoten-Garant. Doch dann hatte er genug. Jetzt ermittelt er in einer deutschen Serie, die in Zürich spielt, aber oft in Prag gedreht wird. Und die wie alles, was er anpackt, ein Hit ist.

Simone Meier
Simone Meier

Es gibt im deutschen Fernsehen Phänomene, die sind irgendwo jenseits der Jetztzeit. Kreuzfahrtschiffe durchpflügen ungerührt die Weltmeere, Tausende von Flugmeilen gehören zum Alltag, Götter in Weiss sind allzeit bereit. Es sind idyllische Kleinstaaten, die von sanften und gerechten Autoritäten regiert werden, von Kapitänen, Luxushotel-Betreibern, Chefärzten, Bergdoktoren oder einer zupackenden Ärztin in einer Praxis mit Meerblick.

Die Zuschauerinnen und Zuschauer sind nicht mehr die jüngsten, aber die treusten und einer ihrer grössten Helden, ihrer absoluten Herzensmagnete, ist dabei seit einem guten Vierteljahrhundert: ein Schweizer. Christian Kohlund. Er spielte unter vielem anderen einen Arzt in der «Schwarzwaldklinik» und einen Luxushotel-Chef-und- Sanierer im «Traumhotel». Christian Kohlund war der schöne Schweizer mit den Locken und dieser Stimme mit ihrem unverwechselbaren Timbre, sie klang nach einem dunklen, torfigen Whisky, nach Lebenserfahrung, Melancholie und einsamen Autofahrten durch Amerika, nach …

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Professor Alexander Vollmers (Christian Kohlund) hatte in den 80er-Jahren in der «Schwarzwaldklinik» viele Frauen. Diese hier hat er geheiratet.Bild: www.imago-images.de

Seie Stimme klingt immer noch so. Die Locken sind grauer und lichter geworden, aber der Mann ist auch mit 74 noch ein Fels im wilden Meer der Aufmerksamkeitsökonomie. Als er vor zehn Jahren sagte, dass er jetzt wirklich genug habe vom ewigen Hotelsanieren an den schönsten Stränden der Welt, bekniete ihn die ARD und versprach, ihm etwas ganz Anderes auf den Leib zu schreiben. Einen Krimi. Der in einer Stadt spielt, die für Deutsche nah und trotzdem aufregend fern ist. Zürich. Die Stadt, in der der gebürtige Basler Christian Kohlund einst seine Jugend verbrachte und ein junger Schauspieler am Pfauen war, bevor er in den 70er-Jahren nach Deutschland auswanderte.

Das Traumhotel

Typische Szene für die Kohlund-Serie «Das Traumhotel» (gilt auch für «Das Traumschiff»): Deutsche machen sich im exotischen Ausland mit Einheimischen und ihren Gebräuchen bekannt.Bild: ARD / DEGETO

Kohlund kommt aus einer Schauspiel-Dynastie. Sein Grossvater Ekkehard war Maler (von ihm stammt das Matterhorn in der Basler Bahnhofshalle), Schauspieler und schliesslich Direktor am Stadttheater Bern, sein Vater Erwin spielte den Romeo im Schweizer Film «Romeo und Julia auf dem Dorfe» und verliebte sich dabei in seine Julia (Margrit Winter). Christian Kohlund war quasi schon vorgeburtlich eingepflanzt in den grossen deutschsprachigen Unterhaltungskultur-Kreislauf.

Sein Thomas Borchert ist ein Schweizer Anwalt, der lange in Deutschland lebte, dort in einem Bestechungsskandal seine Lizenz verlor und sich jetzt in Zürich rehabilitieren will. Seine Frau und sein Kind sind tot, er ist ein alternder Riese mit Rissen, ein Monument voller Blessuren, innen und aussen, Schonzeit kennt er keine, sein Antrieb ist immer wieder Mitleid. Und damit ermittelt er. Nicht wirklich im Auftrag der Polizei.

Romeo und Julia auf dem Dorfe 1941 Romeo und Julia auf dem Dorfe 1941 Emil Gyr, Erwin Kohlund, Margrit Winter EDITORIAL USE ONLY Copyright: xCAP/TFSx

Erwin Kohlund (Mitte) und Margrit Winter im logischerweise tödlichen Liebesdrama «Romeo und Julia auf dem Dorfe» (1941). Beim Dreh verliebten sich die beiden. 1947 kam ihre Tochter Franziska zur Welt, die ebenfalls Schauspielerin wurde und bereits 2014 verstarb, 1950 ihr Sohn Christian.Bild: www.imago-images.de

«Der Zürich-Krimi – Borchert und …» heissen die Fälle, die seit 2016 ausgestrahlt werden, etwa drei pro Jahr, immer donnerstags zur Hauptsendezeit, und egal, ob parallel dazu ein Bundesliga-Spiel oder «Germany’s Next Topmodel» läuft, Borchert macht immer die besten Quoten. Zwischen 5,6 und 7,6 Millionen schauen ihm zu, der Marktanteil geht bis zu 28 Prozent, er läuft besser als die «Tagesschau». Die 28 Millionen von der «Schwarzwaldklinik» wird er allerdings nie erreichen, die erreicht nichts mehr, aber damals gab es auch noch nicht 145 deutschsprachige TV-Sender und keine Streamer.

Und bei uns? Haben viele noch gar nie vom «Zürich-Krimi» gehört. Ich auch nicht. Bis ein Freund vor einem halben Jahr sagte, dass nicht nur seine in Deutschland lebende Schwiegermutter, sondern auch er mittlerweile «hooked» sei, angefressen von dieser Serie, die ein Zürich zeigt, wie es noch kein Schweizer Film oder «Tatort» gezeigt hat. Ein schönes, aber auch immer sachliches, kühles, nie gemütliches Zürich, keine Schoggi-Stadt, nichts Herziges, nichts Verniedlichtes, auch keine Langstrassen-Folklore, ein Ort von vibrierender Internationalität, in der das Verbrechen vielerlei und immer realistische Zuhause hat.

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«Zürich-Krimi»-Regisseur Roland Suso Richter und seine Freundin Ina Paule Klink, die er beim «Zürich-Krimi»-Dreh kennen und lieben lernte.Bild: www.imago-images.de

Roland Suso Richter ist seit der dritten Folge (fast) ständiger «Zürich-Krimi»-Regisseur. Er begann in den 80er-Jahren als junger Wilder, der fand, nur Kinofilme seien Filme, geriet dennoch ins Fernsehen und stieg dort hoch und höher, drehte riesige TV-Events, «Der Tunnel», «Mogadischu», «Dresden». Immer wieder «Tatort». Und seit einigen Jahren den «Zürich-Krimi» und «Die Diplomatin». Drei «Zürich-Krimis» hat er neu abgedreht, «Borchert und die Stadt in Angst» (ein Serienkiller geht um in Zürich) erscheint jetzt als Doppelfolge am 5. und 12. Dezember, «Borchert und der Schuss ins Herz» (Familiendrama eines Zürcher Waffenherstellers) am 19. Dezember. Gerade hat er eine kleine Drehpause. Und Zeit für ein kurzes Telefongespräch.

Herr Richter, vollends verliebt habe ich mich in den «Zürich-Krimi» als ich gesehen habe, dass die Folge «Borchert und der Mord im Taxi» direkt vor der watson-Redaktion neben der Hardbrücke gedreht wurde. Was verbinden Sie mit der Hardbrücke? In fast jeder Folge gibt eine lange Fahrt über die Brücke.
Roland Suso Richter: Die Hardbrücke stellt für mich einen wunderbaren Kontrast zum historischen Stadtkern dar, wo alles eng und verschachtelt ist. Durch ihre Länge und ihre Architektur bietet sich die Hardbrücke ideal für die Filmsprache an. Sie hat etwas Hartes und Offenes, sieht aber auch bei Nacht gut aus – und man kann auf ihr eine längere Strecke fahren, ohne gleich wieder an einer Ampel zu stehen. Das ist für die Inszenierung natürlich ideal. Für mich symbolisiert die Hardbrücke aber auch etwas Weltläufiges, sie erinnert mich, auch durch die Freitag-Container, ein wenig an Berlin.

Borchert und der Mord im Taxi

Ja, im pinken Kringel verbirgt sich das watson-Logo! Szene aus «Borchert und der Mord im Taxi».Bild: Screenshot ARD

Sie beschäftigen sich seit der dritten Folge, seit 2017 mit Zürich, ist Ihnen das noch nicht verleidet?
Wir können ja leider nicht dauernd in Zürich drehen, die meisten Innenaufnahmen entstehen tatsächlich in Prag. Die Produktion würde gerne – auch aus Kostengründen – noch mehr in Prag drehen, da wir leider keinerlei Schweizer Beteiligung oder Förderung erhalten. Wir freuen uns als Team aber immer sehr, wenn wir in Zürich sind. Denn in Zürich gibt es einfach alles: Schöne Menschen in einer sehr schönen Stadt an einem unglaublich schönen See. Eine reiche Stadt mit Ecken, an denen sie aber plötzlich nicht mehr reich ist. Und mit Fassaden, hinter denen allerlei Geheimnisse lauern.

Aber es ist schon mit einem sehr sorgfältigen Nachempfindungsvermögen gemacht, bei Borcherts Lieblingsbar etwa fragt man sich als Zürcherin: Ist das etwa die leicht umdekorierte Olé-Olé-Bar an der Langstrasse?
Vielen Dank. Das ist sie aber nicht. Wir geben uns natürlich grosse Mühe, aber man darf nicht immer ganz genau hinschauen, denn da könnten auch schon mal tschechische Preise an der Wandtafel stehen. Diesen kleinen Tod muss man sterben.

Das Budget für eine «Tatort»-Folge beträgt ungefähr 1,9 Millionen Euro. Ist Ihres vergleichbar?
Ich weiss es nicht ganz genau, würde aber behaupten, dass es ähnlich ist. Das Problem der deutschen Filmbranche ist seit vielen Jahren, dass sich die Budgets nicht verändert haben. Die Zeiten haben sich aber verändert, alles ist teurer geworden, die Gagen sind höher, andere Kosten steigen ebenfalls. Trotzdem erhalten sowohl der «Tatort» als auch die Donnerstags-Krimis seit Jahren ungefähr das gleiche Budget. Daraus resultiert dann, dass man einen Krimi, der in Zürich spielt, nur dank Drehtagen in Prag realisieren kann, wo es etwas billiger ist.

Haben sich nicht auch die Ansprüche des Publikums verteuert? Durch den Serienboom seit der Jahrtausendwende und das Streaming-Angebot ist man sich ja auch ganz Anderes gewöhnt.
Absolut. Man muss heute anders, schneller, aufwändiger drehen, um das, was die Leute sehen wollen, auch zu bedienen. Und natürlich sind in diesen Geschichten, die wir realisieren, auch recht aufwändige Szenen enthalten. Da kann man dann nicht einfach sagen, wir haben jetzt kein Geld mehr.

Der Schweizer Schauspieler Christian Kohlund mit Ehefrau Sylvana Henriques, Deutschland 1980er Jahre. Swiss actor Christian Kohlund with his wife Sylvana Henriques, Germany 1980s. 24x36swNegV195 Premi ...

Bevor Kohlund die ehemalige Schlagersängerin Elke Best heiratete, mit der heute auch noch glücklich zusammen ist, hatte er eine kurze und in seinen Worten «katastrophale» Ehe mit dem Bondgirl Sylvana Henriques (im Bild). Sie spielte eine Blofeld-Gehilfin in «On Her Majesty’s Secret Service».Bild: www.imago-images.de

Christian Kohlund ist ja nicht irgendwer, er ist im deutschsprachigen Raum ein echter Publikumsmagnet aus dem unterhaltsamen, auch romantischen und gelegentlich volkstümlichen Fernsehsegment. Sie hingegen waren einmal ein junger Filmemacher mit grossen Ambitionen im Arthouse-Bereich. Wie haben Sie das zusammengebracht?
Ich kannte Christian Kohlund eigentlich bis zum «Zürich-Krimi» so gut wie gar nicht. Ich habe mir die Filme, die er gemacht hat, auch nicht angesehen. Dann habe ich den «Zürich-Krimi» angeboten bekommen und mir die ersten Folgen, die von anderen Regisseuren inszeniert worden waren, angeschaut und gedacht: Das is ja ‘n geiler Hund! Erst da fiel mir auf, dass das Christian Kohlund ist. Früher, in den Unterhaltungsformaten, war er einfach schön, aber er hatte nicht dieses Charisma, das er heute hat. Seinem Gesicht steht das Alter gut, er ist nicht mehr eitel, man kuckt ihm gerne zu, auch wie er sich bewegt, und natürlich liebt man seine Stimme.

Und wie hat sich das entwickelt?
Unsere Erstbegegnung war etwas skeptisch, weil ich auch eine andere Arbeitsweise habe: Ich probe nicht und zwinge ihn, gleich in die jeweilige Situation zu springen. Aber inzwischen liebt er das und möchte am liebsten nur noch mit mir drehen. Und natürlich trägt Christian die Reihe und ich bin einfach dazu da, im Hintergrund für eine gute Kamera, gute Geschichten, gute Dramaturgie – und eine gute Inszenierung – zu sorgen. Und dafür, dass es nie zu gemütlich wird. Auch bei einem Krimi muss man immer aufpassen, dass es im Ton nicht verrutscht. Dieses «Ach, wir haben alle total viel Spass beim Drehen» ist gefährlich, da entsteht schnell etwas Oberflächliches, Gefälliges, Selbstverliebtes. Und dort möchte ich meine Filme nicht sehen. Wir sind nur gut, solange wir uns auch darum bemühen. Wir sind nicht gut, weil wir uns gut finden.

Reto in Borchert

Robert Hunger-Bühler kommt (wie auch Christian Kohlund) aus dem Theater, er spielte etwa den Mephisto in Peter Steins legendärem 22-stündigen «Faust»-Projekt. Im «Zürich-Krimi» spielt er Borcherts Freund Reto Zanger.Bild: ARD / DEGETO

Borchert hat Gefährten. Und ein Gefährt. Zu den Gefährten zählen sein uralter Freund und Anwaltskollege Reto Zanger (Robert Hunger-Bühler), ein Mann, der es im Gegensatz zu Borchert mit der sozialen Gerechtigkeit lieber ungenau nimmt und deshalb allerbeste Beziehungen zur Zürcher High Society hat. Bei Borchert funktionieren diese Beziehungen eher über eine gewisse Rest-Erotik mit Frauen von früher. Retos Tochter Dominique Kuster (Ina Paule Klink) ist Borcherts Kanzlei-Chefin und eine Art Ersatz-Tochter. Und Dominiques On-and-off-Liebe Hauptmann Marco Furrer (Pierre Kiwitt) ist der Mann, dem Borchert mit seinem polizeilich unkorrekten Spürsinn immer wieder wie ein Stachel im Fleisch sitzt.

Das Gefährt ist ein silberfarbener Wohnwagen. Denn Borchert wohnt nicht mehr, Borchert campiert im Garten der verlassenen Zürichberg-Villa seiner Eltern, mit denen er nur Unglück verbindet. Im Haus will er nicht mehr sein, im Haus lagert er höchstens noch Weinflaschen.

Borchert

Borchert sitzt auf der Schwelle zu seinem «Haus».Bild: ARD / DEGETO

Aber halt, ein Ermittler in einem silberfarbenen Camper? Ist uns dieses Bild nicht regelrecht ins Herz gemeisselt? Borcherts Camper erscheint 2016 im Fernsehen. Der von Kägi in «Wilder» 2017. Zudem fahren Borchert und Kägi beide einen Mercedes. Was sagt uns das über die Imagination von Krimi-Drehbuchautoren?

Hat «Wilder» bei Borchert geklaut? Nein, sagt «Wilder»-Drehbuchautor Béla Batthyany, ein Zufall, Mercedes sei ein Sponsor gewesen, der Camper habe diverse Stadien von Hippie-Bus durchlaufen, am Ende sei es ein silberner Airstream geworden, Batthyany fand ihn für «seinen» Kägi etwas zu sauber, aber er hatte den Vorteil, dass er gross genug war, um darin drehen zu können. Interessant bleibt es trotzdem, zwei Schweizer Ermittler in ihren fahrenden Tiny Houses. Einsame Wölfe halt, immer auf der Pirsch. (In «Wilder» spielte Kohlund übrigens den unsympathischen Künstler Armon Todt und war bald tot).

wilder, 4. staffel

Kägi (Marcus Signer) vor seinem Airstream.Bild: srf/pascal mora

Der «Zürich-Krimi» ist keine schnelle, eher eine gemächlich einfahrende Droge. Und vielleicht ist das Doppel «Borchert und die Stadt in Angst» tatsächlich der beste Einstieg. Weil bei einem Serientäter naturgemäss viel passiert. Weil die Stimmung – alles beginnt mit und wegen einer Sonnenfinsternis – atmosphärisch schön surreal ist. Und weil mit dem Geschwisterpaar David («Die Blechtrommel») und Anne Bennent zwei ebenfalls aus der Schweiz stammende Fachkräfte für das Intensive, Unheimliche und Bodenlose am Werk sind. Und natürlich Christian Kohlund. Der geile Hund.

– Alle «Zürich-Krimi»-Folgen inklusive dem Zweiteiler «Stadt in Angst» sind in der ARD-Mediathek erhältlich.
– «Der Zürich Krimi – Borchert und die Stadt in Angst»: Teil 1, 5.12., 20.15 Uhr, ARD. Teil 2, 12.12., 20.15 Uhr, ARD.
– «Der Zürich Krimi – Borchert und der Schuss ins Herz»: 19.12., 20.15 Uhr, ARD.