Victoria’s Secret hat über die Jahre grosse Veränderungen durchgemacht.
Die Geschichte von Victoria’s Secret ist so kompliziert, wie sie lang ist. Nun kommt ihre Show live zurück. Zeit für eine kleine Geschichtslektion.
15.10.2024, 17:2517.10.2024, 14:44
Am Dienstagabend, 15. Oktober 2024, findet in New York City nach sechs Jahren Pause wieder die legendäre Victoria’s Secret Fashion Show statt. Models wie Tyra Banks, Gigi Hadid und Ashley Graham werden live auf dem Catwalk dabei sein. In den vergangenen Jahren hat das Lingerie-Label einen Wandel durchgemacht, der nicht nur freiwillig stattfand. Die Geschichte des Fashion-Giganten vom Aufstieg über den Fall bis hin zum Rebrand.
Die Gründung
Alles begann in den 70er-Jahren, als Roy Raymond für seine Ehefrau Gaye Unterwäsche kaufen wollte. Der damals 30-jährige Unternehmer fand sein Einkaufserlebnis alles andere als angenehm. Laut seinen Erzählungen hat er sich im Unterwäschegeschäft wie ein «unwillkommener Eindringling» gefühlt. Zudem habe es nur «praktische Unterwäsche» im Zehner-Pack gegeben – von Lingerie keine Spur.
Das war zu dieser Zeit aber auch nichts Untypisches. Slips und BHs sollten vor allem schlicht und bequem sein. Spitzenunterwäsche wurde nur für besondere Anlässe, wie die Flitterwochen oder den Geburtstag des Mannes, getragen. Die Faszination an Spitze und Seide war aber schon auf dem Vormarsch. Die Stoffe waren aber vor allem in den Magazinen und noch nicht wirklich in den Kleiderschränken der Frauen zu sehen.
70er-Jahre-Unterwäschewerbung.Bild: Archiv
Nach seinem enttäuschenden Einkaufserlebnis war Roy davon überzeugt, dass er eine Marktlücke entdeckt hatte. So entschloss er sich, ein Dessousgeschäft mit einer Atmosphäre zu eröffnen, in der sich auch Männer beim Einkaufen wohlfühlten. Laut Fashion Illiteracy war er so überzeugt von seiner Idee, dass er dafür einen Kredit von 40’000 Dollar aufnahm und sich von Verwandten ebenfalls 40’000 Dollar lieh, um 1977 sein erstes Geschäft in einem Vorort von San Francisco zu eröffnen. Zusammen mit seiner Ehefrau designte er die ersten Stücke für Victoria’s Secret.
Die Namensgebung
Ein schlecht gehütetes Geheimnis ist, dass Victoria’s Secret nicht nach einer echten Frau benannt wurde. Der Name soll nämlich laut dem Gründer an die viktorianische Zeit in England erinnern. Trotzdem wurde die Illusion einer französisch-britischen Modedesignerin für die Leserschaft des Victoria’s-Secret-Modekatalogs aufrechterhalten. Die titelgebende «Victoria» sprach darin in der Ich-Perspektive und beschrieb ihre «eigenen Designs».
Victoria’s-Secret-Modekatalog.Bild: Pinterest
Die ersten Jahre
Mit seiner Geschäftsidee hatte Roy Raymond voll ins Schwarze getroffen. Die Umsätze von Victoria’s Secret stiegen im ersten Jahr auf 500’000 Dollar. Bis 1982 wurden fünf weitere Geschäfte eröffnet und der Fashion-Katalog wurde erstmals versendet. Bald erreichte der Jahresumsatz 6 Millionen Dollar.
Victoria’s-Secret-Katalog, 1979.Bild: keystone
Trotzdem bekam das Label seinen Ruf als «billige» Modemarke nicht wirklich weg. Billig nicht im Sinn des Preises, sondern der Aufmachung. Was unter anderem auch mit der für Männer geschaffenen Atmosphäre zusammenhing. So kam es, dass Roy trotz seines Erfolges mit finanziellen Schwierigkeiten zu kämpfen hatte. Das führte dazu, dass der Unternehmer sein Geschäft aufgeben musste. Er verkaufte 1982 Victoria’s Secret für vier Millionen Dollar an Leslie Wexner. Es gibt auch Quellen, die besagen, dass die Verkaufssumme nur eine Million Dollar betragen habe.
Leslie Wexner im August 2020.Bild: www.imago-images.de
Das erste Rebranding
Leslie Wexner führte mit der Marke dann eine Rundumrestaurierung durch. Er wollte die Werbung für die Unterwäsche nur noch an Frauen richten und nicht an Männer, die für Frauen einkaufen. Zudem sollte seine Lingerie luxuriös und trotzdem erschwinglich sein. Hier kam zudem das Markenzeichen des Unternehmens, die Sexiness, dazu.
Dieser Rebrand wurde ein voller Erfolg. Als die 90er-Jahre erreicht waren, war Victoria’s Secret mit über 350 Geschäften der grösste Unterwäschehändler in den USA. Der Umsatz wurde dazumal auf eine Milliarde Dollar jährlich gerechnet. Zu dieser Zeit wurde der legendäre Miracle Bra designt und die Marke erweiterte ihr Angebot auf Badebekleidung, Parfums und Schuhe.
Victoria’s-Secret-Modekatalog für den neuen Miracle Bra.Bild: ebay
Der Aufstieg
1995 hatte sich Victoria’s Secret mit den Geschäften und ihrem Fashion-Magazin eine feste Fangemeinschaft aufgebaut. Mit dieser Sicherheit traute sich das Unternehmen in jenem Jahr den nächsten Schritt: die Lancierung der ersten Victoria’s Secret Fashion Show.
Der Marketing-Chef Edward Razek und sein Team wählten laut dem Insider bei den jährlichen Shows die Models selbst aus. Rising Stars wie Heidi Klum, Tyra Banks oder Gisele Bündchen bekamen ihren grossen Auftritt, der ihre Karriere für immer prägen würde. Schon bei der ersten Live-Übertragung crashte laut CNN die Webseite, weil über 1,5 Millionen Menschen zuschauen wollten.
Die Victoria’s Secret Angels
Im Jahr 2000 wurde dann Sharen Jester Turney zur CEO von Victoria’s Secret. Sie setzte sich mit ihrem Einfluss stark dafür ein, dass der Ruf des Unternehmens in die Richtung von «Vogue» lehnte und noch stärker abkam von den als billig angesehenen Magazinen wie dem «Playboy». In den neun Jahren, als Turney CEO war, stieg der Umsatz des Unternehmens auf sieben Milliarden Dollar jährlich.
Sharen Jester Turney war während neun Jahren CEO von Victoria’s Secret.Instagram/Sharenturney
Ein Grossteil dieses Vermögens wurde durch die Shows und die Einsetzung der Victoria’s Secret Angels gemacht. Das Branding mit den Angels war so eingefädelt, dass Frauen das Gefühl vermittelt wurde, dass sie, wenn sie bei Victoria’s Secret einkaufen, auch wie eine der Angels aussehen können. Diese Hoffnung band viele Käuferinnen an die Marke und sorgte für immer mehr Einnahmen.
So wurden auch die Fashion-Shows jedes Jahr grösser und grösser und es ging längst nicht mehr nur um Unterwäsche. In den 2000ern wurden die Shows zu ganzen Produktionen und die Angels zu ihrem Markenzeichen. Im Jahr 2010 schauten über zehn Millionen Menschen die Übertragung. Die Unterwäsche, die auf dem Runway gezeigt wurde, war mit Diamanten besetzt und die Models wurden wochenlang auf die Shows vorbereitet. Alles sollte absolut perfekt sein.
Die Victoria’s-Secret-Show im Jahr 2016 in Paris.Bild: EPA/EPA
Der Fall
Um die 2010er erreichte Victoria’s Secret dann seinen Peak und es schien, als könnte dem Unternehmen nichts etwas anhaben. Umso tiefer war daraufhin der Fall des Fashion-Giganten. Dieser kam jedoch mit einer Reihe von Skandalen, falschen Business-Entscheidungen und Kontroversen und war darum im Nachhinein keine Überraschung.
Der wohl grösste und verhängnisvollste Fehler, den das Unternehmen machte, ist der Fakt, dass es es nicht schaffte, mit der Zeit mitzugehen. Es war in den 2000ern zur richtigen Zeit am richtigen Ort, blieb nach 2012 aber dort stehen. Das sieht man unter anderem bei einem Blick auf die früheren Designs und die Designs nach 2015. Während in den 90ern und frühen 2000ern auf Luxus gesetzt wurde, sah man vor der Pause 2018 eher sportliche und blumige Unterwäsche auf dem Catwalk. Der Zauber des erschwinglichen Luxus war vorbei.
Die Victoria’s-Secret-Models 2006.Bild: www.imago-images.de
Die Victoria’s-Secret-Models 2018.Bild: imago stock&people
Dazu kam, dass das Label ein nicht zu versteckendes Sexismus- und Fatshaming-Problem hatte. Es war weit bekannt, dass die Angels einer strikten Diät und einem strengen Sportprogramm folgten. Lau Byrdie stand zweimal am Tag ein Workout auf dem Plan, und zwei Wochen vor den Shows durften die Models nur noch Nahrung in flüssiger Form zu sich nehmen.
Und dann änderten sich die Zeiten: Während in den 90er-Jahren Heroin Chic angesagt war – abgemagerte und krank aussehende Körper –, kam 2015 die Body-Positivity-Bewegung zurück. Während die Angels in den 90er-Jahren als starke Frauen, die mit harter Arbeit ihre Ziele verfolgten, galten, sah man sie in den 2010ern als Opfer und Darstellerinnen von Essstörungen.
Kate Moss war in den 90er-Jahren das Inbild des Heroin Chics.Bild: Calvin Klein
Allgemein war Victoria’s Secret lange Zeit alles andere als inklusiv. 2015 sah man erstmals ein schwarzes Model, das seine natürlichen Haare trug, und Frauen über einer Grösse von 34 oder XS hatten sowieso keine Chance, an den Shows teilzunehmen. Dies, weil sich Ed Razek vehement dagegen wehrte, «dicke» Frauen auf den Runway zu lassen. Erst 2018 wurde Barbara Palvin als erster Plus-Size-Angel angekündigt. Dies sorgte für einen riesigen Shitstorm, da Palvin zu dieser Zeit Grösse 36 oder S trug und so aussah:
Trotzdem drängten immer mehr Menschen bei den Shows auf mehr Inklusivität. Als Razek daraufhin gefragt wurde, ob er auch finde, dass trans Models zu sehen sein sollten, meinte dieser:
«Nein, das finde ich nicht. Die Show wird keine Transsexuelle dabeihaben, weil die Show eine Fantasie ist.»
Auch darauf folgte ein heftiger Shitstorm. Razek musste sich entschuldigen und der damalige CEO Jan Singer trat zurück.
Doch nicht nur der Body-Positivity-Trend machte Victoria’s Secret einen Strich durch die Rechnung, sondern auch der immer stärker aufkommende Feminismus in den 2010ern. Online wurde darüber diskutiert, für wen die Shows eigentlich gemacht wurden. Man stellte sich die Frage, ob Frauen, die sich abmagern, um in Lingerie auf einem Catwalk zu laufen, wirklich so empowering waren oder ob diese Frauen einfach von Männern zu einer Geldmaschine ausgerichtet auf den Male Gaze gemacht wurden.
Zu all dem kam dazu, dass plötzlich von verschiedenen Seiten Vorwürfe wegen sexueller Übergriffe an Victoria’s Secret gemacht wurden. Besonders heftige Kritik bekam dabei der frühere Käufer von Victoria’s Secret, Leslie Wexner. Dieser soll laut NBC enge Beziehungen zum Sexualstraftäter Jeffrey Epstein gehabt und in dieser Zeit Frauen missbraucht haben.
Genau so oft soll zudem der Name von Edward Razek genannt worden sein. Der Marketingleiter soll während Castings versucht haben, Frauen zu begrapschen und zu küssen. Ausserdem soll er sexuelle Anspielungen zu ihren Körpern gemacht haben.
Das führte dazu, dass immer mehr Models sich vom Fashionlabel abwandten und die Einschaltquote bei den Shows rasant abnahm. Das hatte wiederum zur Folge, dass auch die Verkaufszahlen zurückgingen und «Victoria’s Secret» sich 2018 dazu entschied, keine Shows mehr durchzuführen.
Das Comeback
Als bei «Victoria’s Secret» durch Skandale und Konkurrenten wie FentyXSavage der Umsatz um ganze 50 % sank, wurde endlich das Steuer herumgerissen. Ed Razek trat als Marketingleiter zurück und im gleichen Atemzug verkündete das Unternehmen, dass es sein erstes Transgender-Model gecastet hatte.
WOW! DIDN’T SEE THAT COMING
After not being casted for 2018’s VSFS, Brazilian model Valentina Sampaio is now the first transgender model in history to work for Victoria’s Secret. pic.twitter.com/eGIJbzgB4z
— MODELS (@ModelsFacts) August 5, 2019
Ins Rollen kam das Comeback von «Victoria’s Secret» aber erst, als Leslie Wexner 2022 vom Unternehmen zurücktrat. Daraufhin wurden nämlich Plus-Size-Models gecastet und auch als Schaufensterpuppen ausgestellt. Es wurden BHs zum Stillen designt und eine Wohltätigkeits-Stiftung für Brustkrebsforschung ins Leben gerufen. «Victoria’s Secret» wurde vom Label, das einem sagt, was sexy ist, zu einem Unternehmen, das einen in allen Lebensbereichen unterstützen soll.
Plus-Size-Puppen bei «Victoria’s Secret».Bild: keystone
Diese Änderungen führten tatsächlich zu einem gesteigerten Verkauf ihrer Produkte, wodurch 2024 nun zum ersten Mal seit sechs Jahren wieder eine «Victoria’s Secret»-Fashionshow stattfindet. Ob dieses Comeback ebenfalls gelingt, wird sich noch am Dienstagabend zeigen.