Wer gerne liest, hat gerne Bücher-Rankings. Also darum: die «Spiegel»-Liste der besten 100 deutschsprachigen Bücher der letzten 100 Jahre. Was ist dein Favorit?
15.10.2024, 14:5215.10.2024, 15:25
Bücher waren schon immer ein Abbild der Gesellschaft, sie können ganze Jahrzehnte prägen und gewaltige politische, soziale und rechtliche Auswirkungen haben.
Wir denken da an «Mein Kampf» oder an «Die Schachnovelle», an «Austerlitz» oder «GRM». Die Literatur und die Gesellschaft stehen in einer ständigen Wechselwirkung zueinander.
Um einschätzen zu können, welche Bücher tatsächlich zu den besten und wichtigsten aller Zeiten gehören, erstellen Fachleute und Literaturkritikerinnen und Literaturkritiker gerne ausgewählte (wenn oft subjektive) Rankings.
So auch der «Spiegel». Das deutsche Nachrichtenmagazin hat vor wenigen Tagen ein neues Ranking zu den besten (deutschsprachigen) Erzählwerken zwischen 1924 und 2024 erstellt.
Das Ranking ist unterteilt in elf zeitliche Perioden. Wir stellen dir ausgewählte Highlights aus jeder Periode vor.
Die besten Bücher von 1924–1929
«Der Zauberberg» von Thomas Mann, 1924
In der Liste natürlich ein Muss. Inspiriert vom Besuch seiner kranken Frau, die in Davos in einem Sanatorium behandelt wurde, veröffentlichte Mann 1924 «Der Zauberberg». Das monumentale Werk über die Geschichte des jungen Hans Castorp bewegt auch noch 100 Jahre nach der Publikation und behandelt Themen wie Politik, Philosophie, Liebe, Krankheit und Tod.
Bild: Orell Füssli
«Das Schloss» von Franz Kafka, 1926
Kafka kann man 100 Mal lesen und 100 Mal auf eine neue Weise interpretieren. «Das Schloss» ist neben «Der Verschollene» und «Der Prozess» einer der drei unvollendeten Romane des österreichisch-tschechischen Schriftstellers. Das Buch beschreibt den (vergeblichen) Kampf des Protagonisten K., den Totalitarismus rund um die undurchschaubare Welt des «Schlosses» zu durchbrechen.
Bild: Screenshot Orell Füssli
Die weiteren Werke aus dieser Periode
- «Das Totenschiff» von B. Traven, 1926
- «Der fromme Tanz» von Klaus Mann, 1926
- «Traumnovelle» von Arthur Schnitzler, 1926
- «Der Streit um den Sergeanten Grischa» von Arnold Zweig, 1927
- «Perrudja» von Hans Henny Jahnn, 1927
- «Berlin Alexanderplatz» von Alfred Döbelin, 1929
- «Menschen im Hotel» von Vicki Baum, 1929
Die besten Bücher von 1930–1939
«Hiob» von Joseph Roth, 1930
«Hiob» erzählt die Leidensgeschichte des jüdisch-orthodoxen Toralehrers Mendel Singer und seine Reise vom fiktiven russischen Zuchnow bis ins amerikanische Exil. Wie die biblische Figur Hiob erleidet Mendel auf seinem Weg zahlreiche Schicksalsschläge, die seinen Glauben auf eine harte Probe stellen.
Bild: orell füssli
«Der Mann ohne Eigenschaften» von Robert Musil, 1930–1933
Das Opus magnum von Robert Musil erschien ab 1930 in drei Bänden. Das Werk trägt viele Bezüge zu Musils eigenem Leben. Im Mittelpunkt der Handlung steht der Protagonist Ulrich, der sich in der österreichisch-ungarischen Monarchie permanent selbst infrage stellt und sich, wie der Titel andeutet, zu nichts ernsthaft bekennen will, um sich ständig (und immer wieder erfolglos) neu orientieren zu können.
Bild: orell füssli
Die weiteren Werke aus dieser Periode
- «Heeresbericht» von Edlef Köppen, 1930
- «Die Schlafwandler» von Hermann Broch, 1931–1932
- «Das kunstseidene Mädchen» von Irmgard Keun, 1932
- «Matto regiert» von Friedrich Glauser, 1936
- «Jugend ohne Gott» von Ödön von Horváth, 1937
Die besten Bücher von 1940–1949
«Jeder stirbt für sich allein» von Hans Fallada, 1947
Neben «Ein Mann will nach oben» und «Wolf unter Wölfen» der wohl berühmteste Roman von Hans Fallada. Das Buch erzählt vom Schicksal des Ehepaars Otto und Elise Hampel, die sich zwischen 1940 und 1942 gegen Hitler auflehnten und denunziert wurden. «Jeder stirbt für sich allein» wurde von Fallada in nur vier Wochen geschrieben und gilt als eines der wichtigsten Werke über den Widerstand gegen die Nationalsozialisten.
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Die weiteren Werke aus dieser Periode
- «Transit» von Anna Seghers, 1944
- «Die Notizen» von Ludwig Hohl, 1944–1954
- «Die grösste Hoffnung» von Ilse Aichinger, 1948
Die besten Bücher von 1950–1959
«Der Richter und sein Henker» von Friedrich Dürrenmatt, 1952
Auf die Liste haben es auch einige Schweizer Autoren geschafft, unter anderem Friedrich Dürrenmatt mit seinem Klassiker «Der Richter und sein Henker». Der Roman handelt von zwei Kriminalgeschichten, die zwar zeitlich nicht zusammenhängen, durch die Charaktere Bärlach und Gastmann aber miteinander verbunden sind. Herausgeber Klaus-Peter Walter sagte über Dürrenmatt: «Seine Krimis folgen dem klassischen Schema, ragen aber durch Ironie, Zynismus sowie gesellschaftskritische bzw. philosophische Ansätze weit über das im Genre Übliche hinaus.»
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Die weiteren Werke aus dieser Periode
- «Berliner Kindheit um 1900» von Walter Benjamin, 1950
- «Effingers» von Gabriele Tergit, 1951
- «Die Strudlhofstiege» von Heimito von Doderer, 1951
- «Das Treibhaus» von Wolfgang Köppen, 1953
- «Doktor Murkes gesammeltes Schweigen» von Heinrich Böll, 1955
- «Ehen in Philippsburg» von Martin Walser, 1957
Die besten Bücher von 1960–1969
«Das dreissigste Jahr» von Ingeborg Bachmann, 1961
«Das dreissigste Jahr» besteht aus sieben Erzählungen, die sich mit den Problemen und Themen der Nachkriegszeit in Deutschland und Österreich beschäftigen. In den Anfängen der Publikation noch mit Zurückhaltung aufgenommen, wandelte sich die Prosa zu einem der wichtigsten Texte der deutschen Sprache nach 1945. Bachmanns Gestalten haben alle etwas gemeinsam: das Leiden an den Kränkungen, die das Leben mit sich bringt.
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«Jakob, der Lügner» von Jurek Becker, 1969
«Jakob, der Lügner» gilt als eines der erfolgreichsten Bücher der DDR-Literatur und erzählt die Geschichte des Juden Jakob Heym, der, um anderen Hoffnung zu geben, zum «Lügner der Barmherzigkeit» wird. Handlungsort ist ein fiktives Ghetto in Polen, das den realen Ghettos in Polen während des Zweiten Weltkriegs nachempfunden ist. Becker selbst wuchs als Kind im Ghetto von Lodz auf.
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Die weiteren Werke aus dieser Periode
- «KAFF auch Mare Crisium» von Arno Schmidt, 1960
- «Der Herr Karl» von Carl Merz/Helmut Qualtinger, 1961
- «Die Wand» von Marlen Haushofer, 1963
- «Ich – der Augenzeuge» von Ernst Weiss, 1963
- «Der Weg nach Oobliadooh» von Fritz Rudolf Fried, 1966
- «Die Palette» von Hubert Fichte, 1968
- «Gesammelte Werke» von Kurt Kusenberg, 1969
Die besten Bücher von 1970–1979
«Der Mensch erscheint im Holozän» von Max Frisch, 1979
Es ist wohl Frischs komplexestes Buch, der Versuch, «ein Tal zu erzählen», wie er einst selbst sagte. Protagonist Herr Geiser wird durch ein Unwetter von der Aussenwelt abgeschnitten und versucht dann im Angesicht der drohenden Tragödie des Sterbens und des Zerfalls, das aufzuschreiben, was nicht vergessen werden soll, nur um zur Erkenntnis zu gelangen, dass die Welt sein Gedächtnis gar nicht braucht.
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«Franziska Linkerhand» von Brigitte Reimann, 1974
Ein momumentales Werk aus der DDR-Zeit, das aber unvollendet blieb. Brigitte Reimann gelingt mit «Franziska Linkerhand» eine systemkritische Auseinandersetzung mit dem Sozialismus, der Roman trägt zudem starke autobiografische Züge. Am Beispiel einer jungen Architektin malt Reimann das schonungslose Bild einer Frau, die in scharfen Konflikt mit den ökonomischen und ideologischen Zwängen der DDR gerät.
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Die weiteren Werke aus dieser Periode
- «Jahrestage» von Uwe Johnson, 1970–1983
- «Tadellöser & Wolff» von Walter Kempowski, 1971
- «Wunschloses Unglück» von Peter Handke, 1972
- «Die neuen Leiden des jungen W.» von Ulrich Plenzdorf, 1973
- «Die Ästhetik des Widerstands» von Peter Weiss, 1975–1981
- «Die gerettete Zunge. Geschichte einer Jugend» von Elias Canetti, 1977
- «Die Reise» von Bernward Vesper, 1977
- «Guten Morgen, du Schöne» von Maxie Wander, 1977
- «Tagebuch vom Überleben und Leben» von Hermann Lenz, 1978
- «Charles Bovary, Landarzt» von Jean Améry, 1978
- «Kein Ort. Nirgends» von Christa Wolf, 1979
- «Das Treffen in Telgte» von Günter Grass, 1979
Die besten Bücher von 1980–1989
«Die Klavierspielerin» von Elfriede Jelinek, 1983
Jelinek erzählt in ihrem inhaltlich radikalsten Roman von der Leidensgeschichte der Klavierlehrerin Erika Kohut. Durch das ganze Buch zieht sich ein düsteres Bild, ausgelöst von zwei dysfunktionalen Beziehungen von Kohut zu ihrer tyrannischen Mutter sowie zu ihrem jungen Schüler. Ein erschütternder Roman mit einem Ende, das man nie mehr vergessen wird.
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«Rohstoff» von Jörg Fauser, 1984
Jörg Fauser erzählt auf brutale, aber auch sarkastische Weise die Geschichte eines (Ex-)Junkies, der seinen Weg über die Türkei und Deutschland als Schriftsteller und Autor machen will. Fauser, einst selbst heroinabhängig, erinnert mit seinem autobiografischen Stil an die Werke des amerikanischen Schriftstellers William S. Burroughs.
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Die weiteren Werke aus dieser Periode
- «Kleinstadtnovelle» von Ronald M. Schernikau, 1980
- «Der Vater eines Mörders» von Alfred Andersch, 1980
- «Marbot» von Wolfang Hildesheimer, 1981
- «Paare, Passanten» von Botho Strauss, 1981
- «Von Feuerschlünden» von Franz Fühmann, 1982
- «Irre» von Rainald Goetz, 1983
- «Holzfällen» von Thomas Bernhard, 1984
- «Hinze-Kunze-Roman» von Volker Braun, 1985
- «Die Mördergrube» von Werner Steinberg, 1986
- «Die letzte Welt» von Christoph Ransmayr, 1988
Die besten Bücher von 1990–1999
«Faserland» von Christian Kracht, 1995
Der Roman des Schweizers Christian Kracht, bei dem die nur notdürftig entnazifizierte Nachkriegs-BRD im Zentrum steht, veränderte in Deutschland die Wahrnehmung einer ganzen Generation. Löste der Roman 1995 noch grosse Kontroversen aus, gilt er heute als wichtiges Werk der deutschsprachigen Gegenwartsliteratur.
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Die weiteren Werke aus dieser Periode
- «Die gelbe Strasse» von Veza Canetti, 1990
- «weiter leben» von Ruth Klüger, 1992
- «Krieg ohne Schlacht» von Heiner Müller, 1992
- «Flughunde» von Marcel Beyer, 1995
- «Kanak Sprak» von Feridun Zaimoğlu, 1995
Die besten Bücher von 2000–2009
«Austerlitz» von W. G. Sebald, 2001
«Austerlitz» beschreibt den Lebensweg des fiktiven jüdischen Wissenschaftlers Jacques Austerlitz, der nach seiner akademischen Laufbahn seine Herkunft entdeckt und danach beginnt, sich mit seinem vorbestimmten Schicksal auseinanderzusetzen. Der Roman erschien als letztes Werk des Autors vor dessen Unfalltod und wurde vor allem auch in den USA und Grossbritannien zum Bestseller.
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«wir schlafen nicht» von Kathrin Röggla, 2004
Das fiktionale Buch «wir schlafen nicht» basiert auf 25 längeren und 15 kürzeren Gesprächen der Autorin mit verschiedenen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern aus der Unternehmensberater-Branche, welche in einen Roman verdichtet wurden. Das Buch ist eine kritische Betrachtung unserer rastlosen Arbeits- und Lebenswelt und wurde bereits mehrmals als Theaterstück aufgeführt.
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Die weiteren Werke aus dieser Periode
- «Seltsame Sterne starren zur Erde» von Emine Sevgi Özdamar, 2003
- «Am Beispiel meines Bruders» von Uwe Timm, 2003
- «Alle Tage» von Terézia Mora, 2004
- «Chronik der Gefühle» von Alexander Kluge, 2004
- «Landnahme» von Christoph Hein, 2004
- «Teil der Lösung» von Ulrich Peltzer, 2007
- «Taxi» von Karen Duve, 2008
- «Atemschaukel» von Herta Müller, 2009
- «Atlas der abgelegenen Inseln» von Judith Schalansky, 2009
Die besten Bücher von 2010–2019
«Herkunft» von Saša Stanišić, 2019
«Herkunft» ist ein teilweise autobiografischer Roman des aus Bosnien und Herzegowina stammenden Schriftstellers Saša Stanišić. Mit philosophischer Tiefe beschreibt Stanišić den ersten Zufall unserer Biografie: irgendwo geboren werden. Das Buch wurde 2019 als bester deutschsprachiger Roman ausgezeichnet.
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«Das Verschwinden des Philip S.» von Ulrike Edschmid, 2013
Es sind die Zeiten der Studentenbewegungen in den 60er-Jahren, Rudi Dutschke wird auf der Strasse angeschossen, das Springer-Gebäude mit Steinen angegriffen. In dieser Zeit werden auch der junge Schweizer Philip S. sowie die junge Mutter Ulrike in die Wirren des politisierten Alltags hineingezogen. Es ist ein Blick zurück auf die prägenden Jahre von Edschmids Leben.
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Die weiteren Werke aus dieser Periode
- «ich bin in der Anstalt» von Friederike Mayröcker, 2010
- «Blumenberg» von Sibylle Lewitscharoff, 2011
- «Der Russe ist einer, der Birken liebt» von Olga Grjasnowa, 2012
- «Frühling der Barbaren» von Jonas Lüscher, 2013
- «Arbeit und Struktur» von Wolfgang Herrndorf, 2013
- «Kruso» von Lutz Seiler, 2014
- «Vielleicht Esther» von Katja Petrowskaja, 2014
- «Das achte Leben (Für Brilka)» von Nino Haratischwili, 2014
- «Die Stunde zwischen Frau und Gitarre» von Clemens J. Setz, 2015
- «Chronik meiner Strasse» von Barbara Honigmann, 2015
- «Erste Erde Epos» von Raoul Schrott, 2016
- «Am Weltenrand sitzen die Menschen und lachen» von Philipp Weiss, 2018
Die besten Bücher von 2020–2024
«Vom Aufstehen» von Helga Schubert, 2021
In kurzen Episoden und klarer Sprache erzählt Helga Schubert ein Jahrhundert deutscher Geschichte: Flucht, Stasi, die Wende. Schuberts Buch ist Fiktion und Wahrheit zugleich. Ein preisgekröntes Werk über ein ostdeutsches Frauenleben im 20. Jahrhundert.
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Die weiteren Werke aus dieser Periode
- «Aus der Zuckerfabrik» von Dorothee Elmiger, 2020
- «Allegro Pastell» von Leif Randt, 2020
- «Blaue Frau» von Antje Rávik Strubel, 2021
- «Dschinns» von Fatma Aydemir, 2022
- «Die Inkommensurablen» von Raphaela Edelbauer, 2023
- «Die Projektoren» von Clemens Meyer, 2024