Zwei, die sich unglaublich gut verstehen: Adolf Hitler begrüsst Leni Riefenstahl in ihrer Villa in Berlin-Dahlem (1937).Bayerische Staatsbibliothek/Bildarchiv
Interview
Regisseur Andres Veiel und Produzentin Sandra Maischberger haben einen Dokfilm über Leni Riefenstahl gemacht. Die beiden haben neues Material. Und eine Mission. Ein Gespräch am Zurich Film Festival.
Als Leni Riefenstahl schon uralt war, sagte sie einen Fernsehauftritt in der Schweiz mit der Begründung ab, dass es bei uns besonders viele Antinazis gebe. Weit lieber waren ihr die Altnazis. Männer und Frauen, die mit ihr das Dritte Reich erlebt hatten und sich danach zurücksehnten. Hitler-Fans. Die immer auch Riefenstahl-Fans waren, weil Riefenstahl Hitler und seine Nationalsozialisten auf der Leinwand in erhabener Schönheit hatte erstrahlen lassen. Sie war die Regisseurin der Dokumentarfilme «Triumph des Willens» (über den Reichsparteitag der NSDAP in Nürnberg 1934) und «Olympia» (über die Olympischen Spiele in Berlin 1936). Sie war Hitlers Propaganda-Bild-Maschine. «Hätten Sie auch einen Film über Behinderte gemacht?», wird die einstige Tänzerin und fanatische Bergsteigerin und Taucherin 1976 in einer Talkshow gefragt. «Nein», sagt sie.
Die Telefongespräche mit ihren Fans hat sie zu Lebzeiten akribisch aufgezeichnet. Und solche mit Freunden, etwa Hitlers (KZ-)Architekten und Reichsminister für Bewaffnung und Munition Albert Speer, mit dem sie von 1934 bis zu seinem Tod 1981 eng befreundet war. Auch wenn Speer ein Jude gewesen wäre, hätte er ihr gefallen, sagte sie einmal. Natürlich stimmt das nicht, aber Statements wie dieses gehörten nach 1945 zu ihrer Strategie der konsequenten Geschichtsklitterung. Vom Holocaust wollte sie nichts gewusst haben. Dabei war sie eine seiner ersten Zeuginnen und hatte mit grosser Wahrscheinlichkeit selbst zum Tod von mehreren Juden beigetragen.
Zu ihrem hundertsten Geburtstag wurde sie 2002 von der TV-Moderatorin Sandra Maischberger interviewt. Maischberger prallte gnadenlos an Riefenstahls Rhetorik ab und liess sich von den Anekdoten einer Legende einlullen. 2003 ist Riefenstahl im Alter von 101 Jahren gestorben. Zehn Jahre später wurde die AfD gegründet. Die Regisseurin hätte ihre Freude daran gehabt.
Sandra Maischberger (jetzt in der Rolle der Produzentin) und der Dokumentarfilmer Andres Veiel haben die letzten Jahre mit Leni Riefenstahls Nachlass verbracht und man darf dies ganz klar auch als Wiedergutmachung für Maischbergers altes Interview lesen. Nach dem Tod von Riefenstahls Partner 2016 gingen 700 Kisten mit Bildern, Fanpost, aufgezeichneten Telefongesprächen, Briefwechseln, Videoaufnahmen von privaten Begegnungen, aber auch von Riefenstahls Spitalaufenthalt im hohen Alter in eine Stiftung über. Und wurden damit für Maischberger und Veiel zugänglich. Es waren lauter Dokumente, die eine alte Zeit konservieren und in eine neue, rechte, deutsche Zukunft hinüberretten wollten.
Es ist gespenstisch, was die beiden geborgen haben, aber es ist von Veiel in einem zurückhaltenden Ton erzählt. «Riefenstahl» ist ein Film ohne Erklärungen und Didaktik, hier spricht das Material, nicht aufdringlich, aber sehr, sehr unheimlich. Er fördert keine neue Sicht auf Leni Riefenstahl zutage, aber löst ein paar Rätsel in ihrem Manipulations- und Lügengespinst.
Andres Veiel und Sandra Maischberger am Zurich Film Festival.Bild: www.imago-images.de
Frau Maischberger, die «Zeit» hat geschrieben, dass Sie seit 2002 nach der Wahrheit hinter Leni Riefenstahl gesucht hätten. Sind Sie ihr jetzt nähergekommen?
Sandra Maischberger: Definitiv.
Sie können nun mit Sicherheit sagen, dass Leni Riefenstahl eine Nationalsozialistin war?
Maischberger: Man kann solche Filme nicht machen, wenn man unpolitisch ist. Aber meine Frage war, wie sehr war sie ideologisch mit dem Nationalsozialismus verstrickt. Und das ist eindeutig. Trotz all der Löschungen, die sie in ihrem Nachlass vorgenommen hat. Sie hat zum Beispiel Telefonanrufe aufgezeichnet, in denen man eine unverstellte Leni Riefenstahl hört: Wie sie redet, wenn sie glaubt, sie ist unbeobachtet oder im Kreise Gleichgesinnter.
Andres Veiel: Deutschland ist lange davon ausgegangen, dass sie «nur» eine Opportunistin ist, «nur» eine Künstlerin und unpolitisch, wie sie behauptet hat. Aber wie sehr sie diese Ideale – das Schöne, Starke, Erhabene –, die angeblich für sie nach dem Krieg keine Rolle mehr gespielt haben, verinnerlicht hat, wird etwa in Briefwechseln klar, wo sie von «gemordeten Idealen» spricht. Und davon, dass diese nach dem Krieg wegfallen und sie nichts mehr zu sagen hat.
Nürnberg 1934: Leni Riefenstahl (in Weiss, Hut mit Band) mit ihrem Team inmitten des Fahnenwaldes der NSDAP beim Dreh von «Triumph des Willens», einem Propaganda-Blendwerk.Bild: imago stock&people
Sie war die Frau, die Hitlers Propaganda ästhetisch umsetzte.
Veiel: Sie hat immer gesagt: Ich bin der Schönheit verpflichtet.
Maischberger: Und: Kunst ist das Gegenteil von Politik.
Veiel: Genau das ist das Problem: Dass sie die Nachtseite ihrer Ästhetik, die Verachtung des Schwachen und Kranken, sogar die Ausgrenzung und am Ende auch das Vernichten, die Ausmerzung des vermeintlich Fremden und Kranken, lebenslang geleugnet hat. Mit einer unglaublichen Hartnäckigkeit. Und das ist der eigentliche Vorwurf, den wir ihr anhand der vielen Materialien im Nachlass machen, nämlich, dass sie nicht nur Propaganda für ein Unrechtsregime gemacht hat, sondern dass sie auch nach dem Krieg immer noch eine Anhängerin dieser Ideologie blieb. Mit einer tiefen Sehnsucht nach Autorität, einer ordnenden Hand, nach Sitte und Anstand. Sie war überzeugt, es wird ein, zwei Generationen dauern, aber die Deutschen haben die Anlage dafür.
Zum Zeitpunkt, als sie das sagte, bedeuteten ein, zwei Generationen jetzt und heute, und viele Deutsche scheinen die Anlage dafür erneut zu haben.
Maischberger: Ja. Und deshalb ist unser Film durchaus ein politischer Film, er geht ja über Riefenstahl hinaus. Er soll nicht nur die Beschäftigung mit einer Person sein, sondern er soll uns dazu bringen, unser eigenes Handeln in der Gegenwart zu reflektieren, es in Frage zu stellen und möglicherweise Fehler zu vermeiden, die andere vor uns gemacht haben. Er ist ein Kunstwerk, aber ein durch und durch politisch gemeintes.
Und noch ein guter Bekannter in Leni Riefenstahls Villa in Berlin-Dahlem: Jetzt Joseph Goebbels (1937).Bild: National Archive
Haben Sie beide durch die Arbeit am Film über Ihr eigenes Handeln in der Gegenwart anders nachgedacht?
Veiel: Ja, absolut. Ich habe mich parallel mit meiner eigenen Familiengeschichte beschäftigt. Mein Grossvater war ein hoher Offizier, ist in Österreich mit einmarschiert und war später General im Russlandfeldzug. Er war angeblich am 20. Juli 1944 mit dem Grafen von Stauffenberg am Attentat gegen Hitler beteiligt gewesen. Doch da musste ich dann nach Recherchen, die ich erst vor wenigen Jahren begonnen habe, feststellen, dass dem leider überhaupt nicht so ist. Er war ein Opportunist, er hat sehr gut mit Himmler zusammengearbeitet, möglicherweise war er auch bei der Judenvernichtung in Russland mit dabei. Die Gefährlichkeit von Legenden, die Verführbarkeit auch auf meine Person als Regisseur bezogen, führte mich zur Frage: Hätte ich anders gehandelt als mein Grossvater, als eine Leni Riefenstahl? Ich hoffe und behaupte, ja.
Maischberger: Meine Selbstbefragung vollzieht sich auf mehreren Ebenen: Wie sehr ist man in der Lage, zu eigenen Fehlern zu stehen und diese dann in einer Art von Eingeständnis in etwas Anderes zu verwandeln? Und ich frage mich als Interviewerin: Was machen wir eigentlich in einer Zeit, in der uns Menschen gegenübertreten, die geradeaus lügen und damit Politik betreiben? Lädt man sie ein? Schafft man es, die Lügen in einem Live-Gespräch zu dekonstruieren? In unserem Film zeigen wir eine Talkshow aus den 70er-Jahren: Da sieht man diese Fassade von Leni Riefenstahl, wie vehement sie ihre Lügen verteidigt. Und genau damit hat sie den öffentlichen Diskurs zu ihren Gunsten gewendet.
Entscheidung des Badischen Staatskommissariats für politische Säuberungen, Spruchkammer Freiburg, 1949: Leni Riefenstahl ist nur «Mitläufer».Bild: Landesarchiv BaWü
Hätte man Leni Riefenstahl nicht schon vor Jahrzehnten der Lüge überführen können? In vielen Fällen lassen sich zu den von ihr beschriebenen Ereignissen oder «Fakten» die Zeugnisse der Gegenseite suchen, die das exakte Gegenteil erzählen.
Maischberger: Das stimmt. Aber zu vielem muss man auch sagen: Wir haben es nicht gewusst. Für den Kollegen, der sie in den 70ern interviewte, war so ein Faktencheck viel schwieriger als heute.
Veiel: Um es zu konkretisieren: Die Rede ist vom ersten Massaker an Juden im polnischen Końskie 1939, bei dem Riefenstahl als Front-Regisseurin zugegen war. Ab den 50er-Jahren hat sie gesagt: Ich habe nichts davon gesehen. Erst aufgrund des Nachlasses konnten wir nachweisen, dass sie ihre Zeugenschaft bis 1948 überhaupt nicht abgestritten hatte. Das kam erst 1951/52: Da gab es eine Verschiebung und sie sagte, dass sie keine Toten gesehen habe.
Warum?
Veiel: Weil ihr plötzlich klar wurde: Wenn ich Zeugin des ersten Massakers an den Juden war, bin ich ja Teil des Beginns des Holocausts. Dann kann ich nicht sagen, ich habe nichts mitbekommen. Und dann fanden wir im Nachlass noch eine dritte Variante dieser Geschichte. Wenn man dem Brief eines Adjutanten glaubt, so gab Riefenstahl die Anweisung, Juden aus dem Bild zu schaffen. Dadurch ist eine Panik unter den Juden entstanden, es fielen Schüsse, 22 Juden wurden ermordet. Das war von Riefenstahl sicher nicht so intendiert, rückt aber ihre mögliche Mitverantwortung als Auslöserin des Massakers in den Fokus.
Blick auf Bilder aus Riefenstahls Nachlass.Bild: Majestic
Herr Veiel, was genau war die Intention hinter Ihrer Regie?
Veiel: Es ging mir nicht darum, einfach zu sagen, sie lügt, sie hat einen ekelhaften Charakter, das wäre ein Tribunal ohne grösseren Erkenntnisgewinn. Ich wollte wissen, warum sie lügt, was das Bedürfnis hinter der Lüge ist. Dabei half uns der Nachlass. Für mich ist sie ein Charakter, der aus der Mitte kommt, der jetzt wieder eine Aktualität hat, weil die Sehnsucht nach einer ordnenden Hand, nach einer Erlösung von einer krisenhaften Welt durch lügenhafte Verheissungen gerade eine enorme Renaissance erfährt. Ja, manchmal ist Riefenstahl unerträglich, sie wirkt in der stupiden Wiederholung ihrer dürftigen Rechtfertigungen immer erstarrter, wie ein Alien ihrer selbst. Es würde sich anbieten, Riefenstahl symbolisch mit einem Betonmantel zu übergiessen und sie an der tiefsten Stelle des Atlantiks zu versenken. Dann ist sie weg, ein Monster weniger. Aber das wäre falsch. Man muss sie in die Mitte zurückholen. Sie ist eine von uns. Das macht sie viel gefährlicher.
Aber die Manipulationsfähigkeit, die sie an den Tag legte, hat durchaus was Monströses.
Veiel: Das hat was Monströses! Aber genau das ist doch die Gegenwart! Das sind die Fake News, das ist ein Donald Trump, der sagt, die Migranten verseuchen das amerikanische Blut. Das ist ein Herr Kickl, der von einem homogenen Volk als Ideal spricht, das erleben wir in Sachsen, Sachsen-Anhalt oder Brandenburg, es ist Alltag und es ist selbstverständlich, denn – und das ist das Erschreckende – die Scham ist vorbei.
Maischberger: Genau, das ist mein Punkt: die Schamlosigkeit. Da ist Leni Riefenstahl ein Prototyp. Sie weiss, dass sie die Unwahrheit sagt, und trotzdem kommt sie damit durch, weil sie einfach dabeibleibt. Sie hat als Kind Schokolade geklaut, der Vater hat sie erwischt, hat sie verprügelt und stundenlang in eine Kammer gesperrt, sie sagte, mein Vater hat mich geschlagen, aber ich habe noch nicht eingesehen, dass ich schuld war. Damit wurde sie zum Opfer und der Vater zum Täter. Bei dieser Strategie der Schuldumkehr ist sie geblieben: Wenn du schon mal eine Version deiner selbst hast, dann bleib dabei, egal, wie gross der Druck von aussen ist, bleib einfach bei der Lüge.
Riefenstahl mit ihrem Kameramann Walter Frentz während des Drehs zu «Olympia».Bild: www.imago-images.de
Das Verrückte ist ja, dass sie alles über sich sammelte, ihre eigenen Telefongespräche aufzeichnete, ja, dass sie gar ein Archiv ihrer eigenen Vergehen anzulegen schien.
Maischberger: Das stimmt nicht ganz. Alles, was sie so stark belastet hätte, dass sie möglicherweise ins Gefängnis gekommen wäre wie Albert Speer oder andere, hat sie zu eliminieren versucht. Andere Dinge hat sie aufgehoben und man fragt sich: wozu? Etwa eine Filmdose mit Schnipseln, die sie aus «Olympia» herausgeschnitten hat. Auf den Schnipseln ist Hitler zu sehen. Und ich fragte mich: Was wollte sie damit? Dachte sie, dass irgendwann die Zeit kommt, da sie Hitler wieder reinmontieren kann?
Veiel: Es wird ein oder zwei Generationen dauern und man kann ihn wieder reinschneiden …
Frau Maischberger, Sie haben Riefenstahls Verhalten, alles zu sammeln, was ihre eigene Bedeutsamkeit dokumentiert, einmal mit dem Social-Media-Verhalten von heute verglichen.
Maischberger: Die Instagram-Stars haben das Rundlicht um ihre Handy-Apparatur, mit dem sie perfekt ausgeleuchtet werden, das hätte Riefenstahl sofort genutzt, sie wäre begeistert gewesen. Aber man inszeniert natürlich die eigene Wirklichkeit in dem Moment, wo man behauptet, man filmt sie nur. Und trotzdem gibt es ja auch die schwachen Momente. Alles ist dokumentiert: Wie sie im Krankenhaus liegt, wie sie fast stirbt, wie sie sich selber optimiert. Dass die schwachen Momente als Stärke umgedeutet werden, gehört mit zu dieser Selbstinszenierung. Auch das ist sehr heutig.
Leni Riefenstahl kontrolliert ihr Aussehen für die Aufzeichnung zur dreiteiligen Dokumentation «Speer und er» von Regisseur Heinrich Breloer (1999).Bild: Bavaria Media
Herr Veiel, gab es einen Punkt, an dem Ihnen als Filmemacher die Filmemacherin Riefenstahl so richtig imponiert hat?
Veiel: Ja, als Editorin, das muss ich ganz klar sagen. Sie hat ein Gefühl – vielleicht auch durch ihre Karriere als Tänzerin – für Rhythmus und Raum. Was nichts daran ändert, dass sie eine miserable Autorin ist. Ihre Memoiren sind eine Zumutung, sehr monoton, immer wieder die gleiche Geschichte, immer wieder Widerstände, die zu überwinden waren, und am Ende war sie die Siegreiche, die’s geschafft hat. Dann kommt hinzu, dass sie auch eine schlechte Tonfilm-Schauspielerin ist. Beim Stummfilm wird ja noch einiges verziehen, aber im Tonfilm macht sie mimisch immer eine Umdrehung zu viel, da hat sie überhaupt kein Gespür dafür.
Haben Sie sich bei der Arbeit am Film auch mal gestritten?
Maischberger: Eigentlich nur einmal. Andres hatte im Gegensatz zu mir nie ein Interview mit Leni Riefenstahl gemacht.
Veiel: Und deshalb beschloss ich, einen Riefenstahl-Avatar zu erfinden, dem ich alle Fragen stellen konnte, die ich ihr hätte stellen wollen.
Maischberger: Ich war dagegen.
Veiel: Ich machte es trotzdem. Ich schrieb drauflos, ich fühlte mich ungeheuer befreit – doch dann ging der Ukraine-Krieg los und ich wusste, dass ich mir diesen Humor am Abgrund, diese Leichtigkeit nicht mehr erlauben konnte.
Zum Glück.
Maischberger: Ja. Sonst hätten wir weitergestritten.
«Riefenstahl» läuft ab dem 21. November im Kino.
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